Unsere Sprache verändert sich laufend, aber früher schritt dieser Wandel um einiges langsamer voran als heute. Jeden Sonntag lerne ich ein neues, altberndeutsches Wort von meiner Grossmutter, und jeden Sonntag lernt sie wohl ein neues, «urbanes» Wort von mir. Sie ist stolz darauf, die in Vergessenheit geratende Sprache im Alltag zu verwenden, und amüsiert sich darüber, dass die junge Generation nicht mehr alle verstaubten Ausdrücke kennt. Manchmal macht es den Anschein, als flechte sie die alten Wörter bewusst in ihre Sätze ein, damit wir darüber diskutieren. Ich wiederum kann nicht behaupten, stolz auf diejenigen Wörter zu sein, die ich in meinem Umfeld aufschnappe.

So schnell die Trendausdrücke kommen, desto schneller verschwinden sie wieder

Die Wörter, die sie braucht, brauchte sie vermutlich bereits als Kind – das sind knapp 80 Jahre. Das sind Ausdrücke, die beide Weltkriege überstanden haben. Die Wörter, die die heranwachsende Generation heute braucht, sind dieses Jahr «in» und nächstes Jahr wieder aus der Mode – zum Glück, kann man sagen. Kürzlich sass ich im Zug von Aarau nach Olten, zwei Studenten in ihren Zwanzigern sassen neben mir und unterhielten sich über etwas. Viel Inhalt bot das Gespräch meiner Meinung nach nicht, aber welche Gespräche in Zügen haben schon Inhalt? Auf jeden Fall pflanzten sie regelmässig englische Bausteine wie «fair» oder «safe» zwischen die Wörter ihrer leeren Sätze. Irgendwie lächerlich, dachte ich. Aber lange werde ich mich nicht darüber enervieren müssen, denn so schnell wie sich Trendausdrücke in unserer Gesellschaft ausbreiten, so schnell verschwinden sie auch wieder.

Am selben Morgen, als sich die zwei jungen Männer im Zug unterhielten, stand ich bei einem Landwirt auf dem Hausplatz. Wir diskutierten über Bauvorschriften, Pachtverträge und Fütterungspläne, als er im Milchzimmer seines Betriebes innehielt und mit einem Schmunzeln meinte: «Wissen Sie, Studieren ist gut, aber es gibt etwas, was die Bauern haben und die Akademiker nicht: die Bauernschläue.» Ich dachte wieder an die Jungs im IC in Richtung Olten. Wahrscheinlich hat der Bauer recht: Den zwei Studenten würde ich von meinem bescheidenen 2.-Klasse-Zugsitz aus tatsächlich keine Bauernschläue zutrauen, auch wenn sie sicherlich schlaue Leute sind. Aber die Bauernschläue weist auf eine Art von Intelligenz hin, praktische Lösungen zu Problemen zu finden, ohne zuerst formell dazu ausgebildet worden zu sein.

«Bauernschläue» auch über andere Sinne

VideoBauernschläue - der Videocast der BauernZeitungDie Antibiotika-Datenbank Abidat einfach erklärtDienstag, 29. April 2025 Ich musste schmunzeln, weil die BauernZeitung just diese Woche ihren Videocast lanciert, der den Titel «Bauernschläue» trägt. Eine weitere Erscheinung unserer kurzlebigen Gesellschaft, in der Wörter nur ein Jahr verwendet werden und dann wie nach einer ungeschriebenen Aufbrauchfrist aus dem Sprachgebrauch ausscheiden. Der Videocast, also die Kombination aus einem Podcast und einem Video, ist eine Reaktion auf das Bedürfnis, redaktionelle Inhalte nicht nur schwarz auf weiss lesen zu müssen, sondern sich den Text über andere Sinne zu Gemüte führen zu können.

Ich gebe es zu: Podcast spriessen seit einiger Zeit wie Pilze aus dem Boden, aber auch diese Pilze darf eine Zeitung, wie es die BauernZeitung ist, nicht nur bei anderen wachsen lassen. Deshalb schalten wir die Mikrofone und die Kameras ein, bringen die Geschichten der Bauern und Bäuerinnen aus den Betrieben ins Studio und wieder raus in die Ställe und auf die Traktoren.

Dieser intensive Informationsfluss ist für das Überleben der Landwirtschaftsbetriebe, die es noch gibt, wichtig. Die Gründe dafür kennen wir. Nur wer mitbekommt, welche Vorschriften ändern und welche Produkte in Zukunft gefragt sein könnten, kann die Buchhaltung mit schwarzen Zahlen abschliessen.

Umso wichtiger ist es, dass unsere Leute trotz des hohen Arbeitsdrucks zum Wissen gelangen, das sie für eine erfolgreiche Betriebsführung benötigen.

Die schlausten übernehmen den Betrieb

Sprichwörter wie: «Lieber schlau statt gelehrt» oder «der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln», die im Zusammenhang mit der Bauernschläue heute noch herumgeistern, treffen schon längst nicht mehr zu. Denn wo früher derjenige Sohn den Hof übernahm, der keine anderen beruflichen Möglichkeiten hatte, ist es heute vielmehr so, dass nur der oder die Schlauste den Familienbetrieb weiterführen kann. Heute müssen die Menschen, die sich die Verantwortung eines Landwirtschaftsbetriebs noch zutrauen, schlau gelehrt sein. Die überholten Sprichwörter sind aus der Mode gefallen, so wie es die trendigen Füllwörter wie «safe» und «fair» hoffentlich auch bald sind.